Das kurze Leben
 des
Kevin Rotten

- Satire -


>>> Gebe nie zu früh von Deinem,
an Deine Bagage ab.
Sie werden es Dir nicht danken,
bis in das kühle Grab! <<<

(Sinnspruch, abgelesen von der Wohnzimmerwand
eines verstorbenen Gebrauchtwagenverkäufers
 aus Tilsdorf zu Wilsburg
)

>>> DIE KÜCHE IST EINE ZIERDE DER HAUSFRAU <<<

(Sinnspruch, abgelesen von der Küchenwand eines
verstorbenen Gebrauchtwagenverkäufers
aus Tilsdorf zu Wilsburg
)

>>> ......Offenbar sind aber die Werke des Fleisches,
als da wären:
Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht,......
(abgelesen bei Galater 5,19) <<<<

Wenn ich auf meine Amtszeit in der Krummstätter Gemeinde in Tilsdorf zu Wilsburg zurückblicke, dann tauchen in der Erinnerungen nicht nur schöne Momente auf, sondern auch Geschehnisse von erbarmungsloser Härte.

Ich war schon immer davon überzeugt, dass unser Herrgott zahlreiche Prüfungen für uns bereithält, mit denen er die Festigkeit unseres Glaubens an das Gute von Zeit zu Zeit überprüft.

Kevin Rotten war wohl so eine Prüfung!

Schon damals, als Herr und Frau Rotten, welche gut betuchte und strenggläubige Mitglieder unserer Gemeinde waren, mit ihrem neugeborenen Filius unpünktlich zur Taufe erschienen, stockte mir vor Entsetzen der Atem.

Der kleine Kevin war offensichtlich ein Kind mit einer angeborenen Signalfunktion.

Wenn wir in die Natur schauen, werden wir feststellen, dass die Farbe "rot" eine deutliche Signal- und Warnfarbe für die Umgebung ist. Nicht umsonst hatte unser Herr im Himmel, diesen Jungen wohl mit grellroter Haarfarbe und einem Gesicht voller roter Sommersprossen ausgestattet. Hinzu kam ein stechender Blick, der sich durch zwei Raben schwarze Äuglein ergab, welcher einem das Blut gefrieren ließ. Als ich den Kopf von Kevin damals mit dem Taufwasser benetzen wollte, kniff dieser sofort das linke Auge zusammen, während das rechte aus der Augenhöhle weit heraustrat und mich mit grimmigen Gesichtsausdruck musterte. Irgendwie hatte ich dabei das gruselige Gefühl, dass eine geheimnisvolle Stimme direkt zu mir in meinen Kopf hinein sprach:

"Pauli! Das wirst Du noch bereuen!"

Ich glaube nicht das es ein Zufall war, dass im gleichen Moment die Flamme der Taufkerze erlosch, obwohl es im Taufraum absolut windstill war.

Vor Schreck unterbrach ich damals die Tauffeier und entfernte mich kurz, unter einem erfundenen Vorwand, in die Sakristei. Von dort rief ich die 24-Stunden-Exorzisten-Hotline unseres Bistums an, schilderte diesen schnell den Fall und bat um weitere Anweisungen.

Wie es bei solchen Hotlinegesprächen nicht unüblich ist, hing ich erst einmal minutenlang in einer Warteschleife, bis dann jemand an den Hörer schlurfte und mir mitteilte, dass man mir zwar nicht weiterhelfen könnte, aber dazu verpflichtet sei mir mitzuteilen, dass dieses Telefonat mit 1 Mark pro Minute abgerechnet würde. Natürlich könne ich mich auch beschweren, dass mir niemand geholfen hätte, dann aber müsse ich die Taste 2 auf meinem Telefon drücken und würde sofort mit der Beschwerdehotline des Bistums verbunden. Man sei aber auch hier dazu verpflichtet, mir vorher mitzuteilen, dass dieses Beschwerdetelefonat dann mit 3 Mark pro Minute abgerechnet würde. Auf meine verärgerte Rückfrage, welchen Sinn diese Hotline dann eigentlich hätte, außer damit Geld zu machen, erhielt ich im verschwörerischen Flüsterton den Hinweis, dass diese nur wegen einer ISO Zertifizierung des Bistums neu installiert worden wäre.

Frustriert zurückgekehrt zum Taufbecken, beeilte ich mich die Tauffeier zügig zu beenden.

Nachdem ich den Kopf des Täuflings sicherheitshalber mindestens 20 Mal mit Taufwasser benetzt hatte, wurde ich von Herrn Rotten unwirsch gefragt, "ob es jetzt nicht langsam genug wäre." Hätte Herr Rotten damals gewusst, was in späteren Jahren noch auf ihn und seine Familie zukommt, hätte er mich wohl damals weiter gewähren lassen.

Einige Jahre nach dieser Feier besuchte ich, an einem schaurigen Herbsttag, den Kindergarten "Die Glaubenszwerge" unserer Gemeinde und stattete auch der Bienchengruppe einen Überraschungsbesuch ab. Im Gruppenraum stellte ich erstaunt fest, dass 10 Kinder in einer Ecke des Raumes zusammengekauert auf dem Boden saßen und irgendwie ängstlich auf ein einzelnes rothaariges Kind starrten, welches sich in eine andere Ecke verzogen hatte, wo es gerade dabei war, um sich herum einen Burgwall zu errichten, welcher aus sämtlichen LEGO-Steinen und Spielzeuggeräten der Bienchengruppe bestand. Eine Erzieherin war mal wieder nicht anwesend und es war sofort klar, wer hier in diesem Raum dadurch das Sagen hatte. Da mir dieser Rotfuchs, beim Hereinkommen in den Raum, den Rücken zugedreht hatte, erkannte ich diesen nicht sofort. Erst als ich auf diesen zuging und ihn laut aufmunternd von hinten ansprach,

"Naaa? Wer spielt denn hier so alleine? Willst Du nicht was von den Spielsachen an die Anderen abgeben?", drehte sich dieser zu mir um und tippte sich mit dem rechten Zeigefinger mehrmals an die Stirn.

Erschreckt schluckte ich damals tief, als ich erkannte, dass hier der kleine Kevin Rotten vor mir saß, welcher mich mit dem frechen Satz begrüßte: "Sonst geht's Dir aber noch gut Opa...., was?"

Jahre später traf ich Kevin im Religionsunterricht unserer Grundschule wieder. Da ich dort auch die Funktion des Vertrauenslehrers hatte, wurde ich permanent von Schülern und Schülerinnen darauf aufmerksam gemacht, dass Kevin seltsame Angewohnheiten hätte. So wurde mir berichtet, dass dieser jeden Morgen mit ein paar kräftigen Kumpels vor dem Schultor stände und ankommende Schüler belästigen würde. Diese würden von ihm, angeblich auch unter Androhung von Gewaltmaßnahmen, dazu gezwungen einer Tornister Durchsuchung zuzustimmen. Sobald sich ein Schüler diesbezüglich weigern würde, würde diesem von Kevin der Tornister vom Rücken gerissen, geöffnet und der gesamte Inhalt auf der Straße entleert. Danach würde der Rotfuchs mit seinen dreckigen Straßenschuhen auf den Sachen wuchtig herumtreten.

Ein anderes Kind berichtete mir, dass es regelmäßig einmal in der Woche, mit anderen Kindern zusammen, vor Beginn des Unterrichts, in den Räumen der Schultoilette erscheinen müsste, wo Kevin schon auf diese ungeduldig warten würde. Dort müssten diese Kevin ihr gesamtes Schul-Milch-Geld aushändigen und schwören, niemanden davon etwas zu erzählen. Bei Zuwiderhandlungen gäbe es regelmäßig Prügel von diesem sauberen Früchtchen.

Natürlich nahm ich Rücksprache mit den Eltern in dieser Angelegenheit.

Dies war aber damals nicht so einfach.

Da diese zwischenzeitlich weltlich eherechtlich geschieden waren, wurden die Gespräche von mir einzeln mit diesen geführt. Ergebnis war immer, dass Mutter Rotten laut zu jammern und zu weinen anfing und Vater Rotten lautstark die Schuld den Lehrern gab, welchen es angeblich an pädagogischen Fähigkeiten fehle, mit der notwendigen Sensibilität und Empathie auf Kevin einzugehen. Immer wieder unterstrich Herr Rotten bei diesen Gesprächen, dass Kevin an sich ein guter und anständiger Junge sei, welcher in Teilbereichen von seiner Frau, von welcher er zum Glück geschieden sei, falsch erzogen worden sei.

So ist es häufig bei solchen Gesprächen. Schuld sind immer die Anderen und / oder die Gesellschaft an sich.

Da diese Gespräche mit den Eltern fruchtlos verliefen, leitete ich damals eine Klassenkonferenz gegen Kevin ein. Das Resultat war ein sofortiger Schulverweis, wobei damit das Problem für die gepeinigten Schüler erst einmal erledigt war, für mich aber begann, da dieser kleine Rotfuchs sehr nachtragend war.

Einige Tage später klopfte es in den dunklen Abendstunden laut an der Eingangstür meiner Pfarrwohnung. Um nachzusehen wer Einlass begehrte, öffnete ich die Tür und bekam einen großen Schreck, da mir hohe Feuerflammen entgegenschlugen. Jemand hatte auf meiner Fußmatte Zeitungspapier ausgelegt und dieses angezündet. Reflexartig versuchte ich sofort das Feuer auszutreten, was mir auch gelang. Nachdem das Feuer gelöscht war, stellte ich fest, dass jemand unter das Zeitungspapier vorher mehrere frische Kuhfladen auf meiner Fußmatte angehäuft hatte, welche er sich wohl von einer nahe gelegenen Kuhweide vorher beschafft hatte. Durch das Austreten des Feuers hatte ich diese eklige stinkende Masse im gesamten Eintrittsbereich nun zwangsläufig verteilt.

Mir war sofort klar, dass hier jemand mit einer kindlich teuflischen Logik am Werk gewesen war, welcher jeden meiner Handlungsschritte genau vorausberechnet hatte. Dies konnte an sich nur einer gewesen sein. Leider konnte ich es diesem, trotz späterer polizeilicher Ermittlungen, nie beweisen.

In den folgenden Jahren tauchte Kevin leider wieder im Kommunionsunterricht unserer Pfarre auf, wo er durch ständiges herumblödeln, dazwischen quatschen und Rempeleien auf sich aufmerksam machte. Verwunderlich war es daher für mich nicht, dass dieser bei der späteren Kommunionsfeier als Einziger in ausgelatschten Turnschuhen erschien. Es versteht sich von selbst, dass ich gerade von diesem die Teilnahme an der vorbereitenden Beichte besonders einforderte.

>>> Nur der historisch wissenschaftlichen Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle, auch wenn es jetzt nicht genau hierhin passt, auf die Reichskleiderordnung von 1495 nC des Reichstages zu Worms verwiesen, die jedem Stand vorschrieb, was er zu tragen hatte und wie teuer die Kleider sein durften. Hätte es damals schon Turnschuhe gegeben, wären diese bei solchen Feierlichkeiten sicherlich nicht akzeptiert worden. Aber man brauch sich über das Tragen eines der jeweiligen feierlichen Situation völlig unangebrachtem Schuhwerks nicht zu wundern, wenn die Kinder im Fernsehn sehen können, dass der kubanische Máximo Líder den Papst einst sogar nur im Turnanzug empfing <<<

Ich hoffe, es ist nicht ein zu großer Verstoß gegen das Beichtgeheimnis, wenn ich vier seiner vorkommunionalen Sünden hier einmal beispielhaft aufführe:

So gestand er mir, bzw. dadurch auch unserem Herrn und Schöpfer, dass er in der Vergangenheit sein Taschengeld regelmäßig dadurch aufbesserte, dass er hinter einem Getränkemarkt ein Loch in den Maschendrahtzaun geschnitten hätte, um an das direkt am Zaun deponierte Leerpfandgut gelangen zu können. Dieses hätte er dann dort einzeln aus den Getränkekästen gezogen und dann vorne, am Markt, an der Kasse, kurze Zeit später, wieder gegen Bares umgetauscht. Das Ganze bezeichnete dieser missratene Knirps dann auch noch frech, in der Beichte, als "kurzen Wirtschaftskreislauf."

Stolz wie Oskar berichtete er mir auch, dass er einen Trick kenne, wie man bei kleineren Kindern regelmäßig "gute Kasse" machen kann. Er würde diese zunächst fragen, ob sie wüssten, was wertvoller auf der Welt sei. Gold oder Silber? Die Gefragten würden sofort natürlich antworten, dass das das Gold wäre. Dementsprechend wäre es leicht mit diesen ein goldfarbenes 10-Pfennig-Geldstück gegen ein silbernes 50-Pfennig-Stück zu tauschen. Auch sein Vater wäre ganz stolz auf seine Idee gewesen und hätte ihm wohlwollend vorsorglich nur geraten:

"Man darf alles Kevin! Man darf sich nur nicht erwischen lassen!"

Besonders stolz war Kevin auf seine Telefonscherze.

Immer wieder hätte er dem Pfarrer der Nachbargemeinde ein Taxi bestellt und sich jedes Mal, versteckt hinter einem Busch beobachtend, halb kaputt gelacht, wenn dieser, an der Eingangstür zu seiner Pfarrwohnung, ellenlange Diskussionen mit verärgerten Taxifahrern geführt hätte. Als nach einiger Zeit dieser Pfarrer von der örtlichen Taxizentrale auf eine "schwarze Liste" gesetzt wurde und trotz Bestellung kein Taxi mehr kam, hätte Kevin diesem halt das Pizzataxi bestellt.

Gegen den "kleinen Hunger zwischendurch" hatte sich Kevin in der Vergangenheit etwas besonderes ausgedacht. Angesichts einer regelmäßig knappen Taschengeldkasse, welche durch seinen frühkindlich hohen Tabakkonsum immer stark gebeutelt war, hätte er zunächst den Arbeitsablauf eines Pizza-Liefer-Service genau studiert. Nachdem er meinte, das System verstanden zu haben, hätte er öfters den Lieferservice vom nächstgelegenen öffentlichen Rückruftelefon angerufen und dort eine Pizza seiner Wahl zum Selberabholen bestellt. Der Kontrollanruf der Pizzeria wäre dann in der Rückruf-Telefonzelle aufgelaufen. Es hätte geklingelt, er hätte den Hörer abgehoben und die Bestellung bestätigt. Dann wäre er zum offenen Hofbereich der Pizzeria gelaufen und hätte sich dort in der Nähe der großen Mülltonnen versteckt. Da die bestellte Pizza, nach 30 Minuten, nicht abgeholt wurde, wäre zuverlässig immer ein verärgerter Pizzabäcker zur Mülltonne gelaufen und hätte die Pizza mit Verpackung in den Müll geschmissen. Nachdem sich der Pizzabäcker danach wieder zu seinem Pizza Ofen begeben hätte, hätte sich Kevin das schmackhafte und gut verpackte Stück aus der Mülltonne gefischt.

Nebenbei angemerkt. Die Sache mit den Kuhfladen auf meiner Fußmatte hat er natürlich nicht gebeichtet.

Viele Jahre nach der Kommunion vergingen.

Man sollte es nicht glauben, aber Kevin schaffte es irgendwann einmal tatsächlich, innerhalb unserer Gemeinde, einen richtigen Beruf zu ergreifen. Er hatte geheiratet, war Vater zweier Kinder geworden und hatte sich zu einem gut verdienenden Gebrauchtwagenverkäufer gemausert.
Weiterhin tauchte er, häufiger in der Beichtstunde bei mir auf, als ich es, angesichts seines bisherigen Lebenslaufs, je für möglich gehalten hätte.

Also, auf den ersten Blick sozusagen, eine klassische Entwicklung vom Saulus zum Paulus.

Tja, auf den ersten Blick!

Ich weiß nicht mehr ob es Diogenes Laertios, Chilon von Sparta oder Plutarch war, welcher den zweifelhaften Spruch erfunden hat: "De mortuis nil nisi bene", was etwa übersetzt bedeutet, dass man von einem Verstorbenen nur Gutes erzählen sollte, auch wenn der Dahingegangene zeit seines Lebens nur ein Armleuchter gewesen war. Aber einst ist sicher, diese Steinzeittypen kannten Kevin Rotten, die automobile Antwort der Krummstätter Gemeinde in Tilsdorf zu Wilsburg auf Alfred Tetzlaff, nicht, als diese diesen Spruch vor Urzeiten leichtfertig formulierten.

Jeder Geistliche, so auch ich Pauli, von Gottes Gnaden, erreicht irgendwann einmal den Punkt, wo ihm wirklich nichts mehr Positives über einen Verstorbenen einfällt. So war es auch eines Tages, als ich aufgefordert wurde, eine Abschiedspredigt am Grab des Gebrauchtwagen Verkäufers Kevin Rotten, zu halten, den unser Herr, oder vielleicht doch eher der Leibhaftige, schon in relativ frühen Jahren zu sich gerufen hatte. Wobei ich vorsorglich anmerken möchte, dass es Wiedergänger gibt, welche man auch nach deren Tod nicht mehr los wird, da diese zwischen Himmel und Hölle permanent oszillieren, da weder der Liebe Gott noch der Teufel diese in den eigenen vier Wänden auf Dauer haben möchte.

Kevin war, wie mir bekannt war und auch wie man mir erzählte, nicht nur in unserer Gemeinde, sondern auch überregional, im letzten Jahrzehnt vor seinem Tod, besonders dadurch bekannt geworden, dass er seine Gattin regelmäßig mit anderen Weibsbildern nach Strich und Faden betrog und zudem als Eigentümer eines großen Anwesens, welches er zufällig geerbt hatte, Blockwart gleich, seine Mieter permanent mit willkürlichen Verhaltensanweisungen drangsalierte.

Er selbst hatte mir einmal gebeichtet, großzügig, wie er nun mal war, dass seine Frau regelmäßig im Gästezimmer übernachten durfte, wenn er mal wieder eine seiner Mätressen daheim zum Tête-à-Tête zu Besuch hatte. Da er, so beichtet er mir mehrfach stolz, kein Unmensch war, durfte seine Frau selbstverständlich in der Vorphase die Bedienung des weiblichen Gastes mit Kaffee und Kuchen übernehmen, wobei er tolerant darüber hinweg sah, wenn der Ehefrau, der von Ihr gebackene Biskuit einmal nicht sonderlich gut gelungen war. Es wäre ihm immer wichtig gewesen, dass seine Frau am bunten Familienleben, als vollwertiges Mitglied, jederzeit teilnehmen könne.
Seine erste Tochter hatte, nach langer Rauschgift Karriere Selbstmord begangen und seine zweite übergewichtige Tochter, welche in der Nachbarschaft damals ala Star Wars nur "Jabbi the hutti" genannt wurde, wechselte innerhalb von 12 Monaten regelmäßig ca. 4 mal den Arbeitgeber im Kalenderjahr. Immer waren daran selbstverständlich nur die jeweiligen Arbeitgeber Schuld, nach den gebetsmühlenhaften überzeugenden Selbsteinschätzungen der Tochter.

>>> Mors certa, Hora incerta!

(Der Tod ist sicher,
die Stunde des Todes nicht!) <<<

Nun, es war ein wunderschöner Sommertag, als man diese Automobile-Lichtgestalt zu Grabe trug.
Ein Sommertag, was sonst?
Hätte unser Herrgott hier nicht einmal ein Einsehen haben können?
Wäre ein begleitender Wolkenbruch mit Blitz und Donner zur Beerdigung nicht angemessener gewesen?

Nun als Geistlicher hat man sich den Entscheidungen des Herrn willig und in Demut zu fügen, doch es sei erlaubt zu erwähnen, dass die Entscheidungen des Allmächtigen nicht immer für uns Irdische nachvollziehbar sind.Schon oft hatte es für mich, dem Pater Pauli, den Anschein, als ständen gerade unliebsame Soziopathen und Diktatoren, weltweit seit Jahrtausenden, unter einem besonderen überirdischen Schutz. Denn wie ist es sonst anders zu erklären, dass in der Geschichte der Menschheit, die schlimmsten Verbrecher oft unzählige Attentate überstehen und gesellschaftlich problematische Gestalten uralt werden, während sozial engagierte oft schon früh das zeitliche segnen. Aber vielleicht will der Allmächtige damit ja auch nur die Festigkeit unseres Glaubens permanent überprüfen. Drum wollen wir es in Demut hinnehmen!

Die Witwe stand damals also am Grab, welches "Six feet under" frisch ausgehoben war und tat, was Sie die meiste Zeit Ihres Lebens an der Seite dieser nun verblichenen zärtlichen Lichtgestalt getan hatte. Sie weinte in einer Tour wie ein Schlosshund. Sie weinte tatsächlich, aber Sie weinte als Einzige der etwa 30-köpfigen bunten Trauergesellschaft, welche sich hier, zum letzten Geleit, oder auch nur aus Neugier oder Sensationslust, zusammengefunden hatte. Ich hatte hier damals ein wirkliches Problem, da mir Kevin Rotten, ja aus den Zeiten seiner Jugend und aus unzähligen Beichtgesprächen hinreichend negativ bekannt war. Seine seltsamen sozialen Verhaltensweisen aus der Jugend setzte er, mit Krawatte und Daimler, in seinem Berufsleben fort. Erst zog er seine Kunden gehörig über den Tisch und dann rannte er regelmäßig geschwind zu mir in die Beichte um seine täglichen Sünden zu bekennen und Erlösung zu finden.

Auch der Pfadfinder Bus, welchen er vor Jahren unserer Gemeinde zu angeblichen Topkonditionen verkauft hatte, hielt nur eine Woche durch, bis der Kolbenfresser da war. Als der Stammesleiter Kevin auf Garantie ansprach, erzählte Mr. Rotten damals laut lachend nur etwas von "gekauft wie gesehen".

Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich über diesen Verblichenen noch positives predigen sollte und könnte.
Zudem hatte einer der Trauergäste auch noch einen Walkman mitgebracht, aus dem permanent das Lied "man of honor" der Punkrock Gruppe DEAD PANTS lautstark dudelte. Gut, ich war nie Freund der Punkrock-Musik gewesen, aber ich musste zugeben, dass der Liedtext 100 prozentig zur Situation passte. Es war eine wirklich absurde Atmosphäre ersten Grades und ich wollte nur eins, nämlich diesen Ort des "letzten Geleits" möglichst schnell verlassen, da mich im Priesterseminar damals niemand auf eine solche obskure Situation in meiner Ausbildung vorbereitet hatte. Ich stand also direkt am Grabloch zur Kondolation bereit und direkt neben mir stand ein großer Trauerkranz mit der goldenen Inschrift auf der Trauerschleife:

"Kevin! In Deinen Kindern lebst du weiter!"

Ich musste damals zugeben, besser und analytisch noch treffender, hätte man es nicht formulieren können.Was sollte ich auch anders machen, als dort stehen, schließlich hatte die Witwe mich ja gebührenpflichtig gebucht und so schüttelte ich jedem Trauergast, welcher ein Schüppchen Erde auf den Sarg werfen wollte, gezwungenermaßen die Hand und wollte jedem auch dienstbeflissen mein Beileid bekunden.

Seltsam war nur, dass ich in lauter erleichterte und irgendwie zufrieden strahlende Gesichter blickte.

Von Trauer schien wirklich, außer der Trauer der Witwe, keine Spur zu sein.

Einer jungen Frau, welcher ich die Hand schütteln und auch "Herzliches Beileid" bekunden wollte, entgegnete mir kess: "Kein Problem, ich bin ohnehin nur hier, um zu sehen, dass der da wirklich endlich drin liegt."

Ein ca. 30 jähriger Grabgänger, gab mir die Hand mit den Worten: "Ich wollte ihm nur meinen Autoschlüssel mit ins Grab werfen. 12 Tage hat die Karre gehalten, dann ist sie ausgebrannt."

Ein anderer Grabpilgerer hatte gleich eine große Bauschaufel mitgebracht, da ihm die Kapazität des Schüppchens wohl als zu gering erschien. Mit dieser Schaufel schüttete er mehrere Kilogramm Erde so lange auf den Sarg, bis selbst mir es zu bunt wurde und ich diesen freundlich darüber aufklärte, dass jetzt langsam mal wirklich Schluss wäre, weil andere auch noch mal wollten.

Dann kam auch noch der kleine Rüdiger Protznek, welchen ich aus dem Kommunionunterricht gut kannte, zu mir. Er zupfte an mein Gewand, sah mich mit großen flehenden Augen an und erzählte mir, dass "der da im Grab" vor 2 Wochen seinen Lederfußball mit einem Messer zerstochen hätte, weil Rüdiger auf dem KFZ-Ausstellungsgelände der Firma Rotten unerlaubt Fußball gespielt hätte. "Der Typ kommt doch nicht in den Himmel, Herr Pauli, oder? Bitte bitte!", fragte er mich und sah mich dabei erwartungsvoll an. Mich machte die Frage ratlos, denn was sollte ich in meiner Position dazu erwidern? Ich konnte ja schlecht im Beisein der Witwe Rüdiger versprechen, dass unser Herrgott mit Mister Rotten sicherlich "kurzen Prozess" machen würde. An dieser Stelle sei auch an Hiob 7,9 verwiesen:
"......wer in die Hölle hinunterfährt, kommt nicht wieder herauf...".

Abschließend will ich noch darauf hinweisen, dass ich, trotz Einladung der weinenden Witwe, nicht zum "Fell versaufen" ging, weil mich die gesamte Begräbnissituation dieses Tages psychisch völlig überfordert hatte. Noch Jahre später wachte ich des Nachts, von Albträumen geplagt, schweißgebadet auf und fragte mich, warum die Witwe damals, als Hauptgeschädigte, eigentlich am Grab wie ein Schlosshund geweint hatte.

Vielleicht lag es ja daran, dass diese zukünftig nicht mehr im Gästezimmer übernachten musste?

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