Der Quotenpater
- Satire -


Wenn einer lang redet,
 muss (d)er nicht auch hören?
Muss denn ein Schwätzer
immer Recht haben?

(frei nach Hiob 11,2)


Das Gastrecht und die Gastfreundlichkeit sind seit 2000 Jahren eherne Pfeiler unserer Glaubensgemeinschaft.

Dokumentiert wird dieses z. B. in Hiob 31,32:

"Draußen musste der Gast nicht bleiben, sondern meine Tür tat ich dem Wanderer auf".

Leider wird diese Gastfreundlichkeit immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Vor allem dann, wenn urplötzlich nicht die Gäste auftauchen, welche man sich erwünscht hat, sondern zweibeinige Landplagen, welche in 1. Mose 9,21 treffend wie folgt beschrieben werden:

"Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag in der Hütte aufgedeckt."

Vor einiger Zeit hatte ich es mir des Abends, in meiner Klause, einmal richtig gemütlich gemacht.
Nach einem anstrengenden Missionstag wollte ich vor dem knisternden offenen Kamin, mit einer sündhaft teuren Flasche Rotwein ein Bundesligaspiel live im PAY-TV genießen. Ich hatte die Flasche gerade in der Küche entkorkt und es mir in meinem Anti-Stress-Ledersessel bequem gemacht, als es an der Haustür klingelte. Nichts Böses ahnend schlurfte ich zur Tür und warf zuerst einen Blick durch den Türspion.

Was ich durch den Spion vor der Tür erblickte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Ich blickte in das breite, fettige und ewig grinsende Gesicht von Bruder Litfaß, welcher vor der Tür stand und offensichtlich, eingehüllt in seine schmuddelige Mönchskutte, Einlass begehrte. Er hatte sich mal wieder voll in Schale geschmissen, was nichts anderes bedeutete, als das er wieder mal so aussah, als wäre er dem Film "Der Name der Rose" entsprungen.

Litfaß war ein Quotenpater.

Er hatte das Sakrament der Ordination (Presbyterat) vor Jahrzehnten nur empfangen, weil damals allgemeiner Bewerbermangel herrschte. Zu jener Zeit wurde praktisch jeder geweiht, der ein Gebetbuch in der Hand halten konnte.

Litfaß, in Kirchenkreisen wegen seiner Körperfülle und Trinkfreudigkeit auch Pater Dino oder Bruder Dionysos genannt, hatte mir zu dieser Stunde gerade noch gefehlt. Schon immer hatte ich bei diesem das Gefühl gehabt, dass dieser dem Weingeist näher stand als dem "Heiligen Geist." Dies soll aber nicht bedeuten, dass er nicht gottesfürchtig war! Nein, er lebte ganz nach der Devise aus Jesaja 22,13, die da lautete:

"Lasst uns essen und trinken, wir sterben doch morgen!"

Bei aller Gastfreundschaft, angesichts der in Kürze beginnenden Liveübertragung des Fußballspiels, konnte ich diesen Dummschwätzer beim besten Willen nicht gebrauchen. Schon ein Jahr zuvor hatte dieser mir ein Europa-Cup-Endspiel dadurch versaut, dass dieser mir 90 Minuten lang, das gesamte Endspiel mit unqualifizierten Kommentaren versüßt hatte. In der gesamten Spielzeit hatte er mir damals begleitend dazu mein halbes Weinregal leer getrunken und sich über meine Bockwürste mit Kartoffelsalat hergemacht, welche mir ein Tag vorher meine Haushälterin liebevoll vorbereitet hatte.

Diesmal sollte es anders werden.

Obwohl Dino zäh weiter die Klingel betätigte, verhielt ich mich auf der anderen Seite der Tür mucksmäuschenstill. Ich hoffte, dass Dionysos nach einiger Zeit die Lust verlor und sich von dannen trollte.

Leider hatte ich mich hier total verschätzt.

Da niemand die Tür aufmachte, fing Litfaß plötzlich in unchristlicher Weise an, mit der Faust heftig gegen die Tür zu klopfen.

"Pauli! Pauli!! Mach auf! Ich weiß, dass du da bist!", tönte es vorlaut von draußen.

Ich verhielt mich weiterhin, innen mit dem Ohr fast am Türblatt klebend, akinetisch still.

"Paulchen! Mach auf! Das Spiel beginnt doch gleich und mein Fernseher ist kaputt! Bitte ....komm ..mach auf!!", flehte es von draußen im weinerlichen Tonfall.

Allein das "Paulchen" war eine Unverschämtheit.

Nur meine eigenen Eltern, der Herr habe sie selig, durften mich früher als Kind so rufen und vielleicht noch meine Geschwister, aber bestimmt nicht dieses laufende, vor der Tür jammernde, zweibeinige Weinfass.

Als ich auf die Armbanduhr blickte, erschrak ich, da in 5 Minuten das Spiel angepfiffen wurde. Es war abzusehen, dass sich die Situation bis dahin nicht klären würde. Mich zum Fernseher schleichen und das Gerät anzuschalten hatte keinen Sinn, da Dino draußen sofort die Tonübertragung hören würde, sodass ich mich spontan entschloss, Litfaß doch hereinzulassen, da mir dies als das geringere Übel erschien.

Ich hatte die Tür kaum einen Spaltbreit geöffnet, das stürmte auch schon Bruder Dionysos herein, rief laut "na also" und enterte im Wohnzimmer Sekunden später meinen Antistress Sessel.

"Schnell mach die Kiste an......, gleich ist Anpfiff Pauli", rief Dino und griff zur, auf dem Wohnzimmer Tisch liegenden, Fernbedienung.

"Ähhhhh, guten Tag erst einmal, das ist aber schön, dass Du mich mal wieder besuchst, lieber Bruder Litfaß", begrüßte ich mit verlogen freundlicher Stimme meinen Überraschungsgast, welcher offensichtlich gar nicht richtig zuhörte, da er mit der Fernbedienung für den Fernseher hektisch durch die Sender zappte.

Nachdem er den richtigen Sportkanal gefunden hatte, lehnte er sich erleichtert im Sessel weit zurück, zog seine Schuhe aus und legte seine Beine auf den Sesselhocker. Deutlich waren nun seine abgenutzten feucht wirkenden Strümpfe zu sehen, wobei beim rechten Strumpf, in Höhe des dicken Zehs, ein so großes Loch in der Socke war, dass der nackte Zeh aus dem Strumpf heraushing. Innerhalb von Sekunden wurde das Wohnzimmer mit einem leichten Fußschweiß Geruch erfüllt, was mich dazu veranlasste das Fenster schnell zu öffnen, damit mir nicht schlecht wurde.

"Nun las bloß das Fenster zu Paulchen, sonst kommen noch die Mücken rein", maulte Dino und sah mich zum ersten Mal dabei richtig an.

Dino: "Hab ich Dir eigentlich schon "Guten Tag" gesagt Paulchen?, ......haahahahaaa!!"

Pauli: "Belaste Dich nicht mit solchen Fragen Bruder Litfaß, Hauptsache ist, Du sitzt gut. Ich nehme gerne auf dem harten Holzstuhl Platz."

Dino: "Hahahaa, immer noch der alte Witzbold...., schau der Anpfiff ist gerade erfolgt. Die spielen heute mit einer 5-3-4 Aufstellung, dass kann eigentlich nicht funktionieren, was meinst Du Paulchen?"

**** Ich muss hier gestehen, dass es mir bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt war, dass man als Fußballmannschaft mit 12 Leuten auf dem Rasen steht, aber vielleicht hatte Dionysos ja mal wieder den Trainer oder den Schiedsrichter mitgezählt ****

Pauli: "Also ich........."

Dino: "Hast du eigentlich noch was von Deinem köstlichen lieblichen Wein?"


Pauli: "Da muss ich mal nachschauen."

***** In Johannes 2,10 steht geschrieben: "...Jedermann gibt zum Ersten (den) guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind, als dann den Geringeren."

Der Herr möge mir an dieser Stelle verzeihen, wenn ich von dieser Richtlinie hier einmal notgedrungen abwich. Ich begab mich in die Küche, vergewisserte mich noch einmal, dass Litfaß vollständig ins Fußballspiel vertieft war, ergriff die bereits entkorkte Flasche mit Edelwein und füllte den Inhalt schnell in eine Karaffe, welche ich nach Abschluss der Umfüllaktion tief in meinem Küchenschrank versteckte. Aus der Abstellkammer holte ich einen 99 Cent 2 Liter Tetrapack-Discounter-Wein Marke "Château-Clochard, seliger Krötenbrunnen, feine Notlese", welcher ein wahrer Renner in der Berber- und Obdachlosenszene unserer Stadt war und füllte den Inhalt, welcher eine grauenhafte süßliche Zusammenmischung von 80 Rebsorten aus 40 Ernten in 20 Krieg führenden Ländern war, in die Weinflasche. Dieses köstliche Gesöff servierte ich Dionysos, abweichend von Johannes 2,10 wenig später im Wohnzimmer *****

Pauli (beim eingießen des Glases): "So..mein Freund, da habe ich doch noch einen edlen Tropfen für dich gefunden, lieber Glaubensbruder."

Dino (ergreift zunächst die Flasche und prüft das Etikett): "Junge, Junge......Du lässt es aber heute wirklich richtig krachen. Das ist ja ein Spitzenwein. Mal sehen ob der auch hält, was das Etikett verspricht und mir ausreichend mundet."

Pauli: "Also, wenn der bei dem Horror Preis den ich bezahlt habe nicht schmeckt, dann weiß ich auch nicht mehr was ich dann noch denken soll."

Dino (schnupperte am Bouquet, ließ den Wein profimäßig immer wieder im Glas kreisen, während er das Glas prüfend gegen das Licht hielt, nahm einen großen Schluck): "Donnerwetter, erste Sahne. ........Das ist wirklich ein guter Tropfen!"

Pauli (im trockenen Tonfall): "Freut mich, dass er Dir mundet, alles andere hätte mich auch gewundert."

Dino: "An solchen köstlichen Gaumenfreuden kann man wieder einmal in typischer Weise sehen, dass Qualität immer auch ihren Preis hat."

Pauli: "Natürlich muss man auch den richtigen Sachverstand haben, um die Qualität des Rebensaftes richtig beurteilen zu können. Hier unterscheidet sich der Gourmet vom Gourmand."

Dino (fühlte sich offensichtlich gelobt): "Wie wahr! Wie wahr! Man tut, was man kann, Paulchen, aber keine Sorge, irgendwann trifft auch Dich mal die diesbezügliche Erleuchtung des Herrn..........hahahahaahaa, .....was ist eigentlich mit der köstlichen Käseplatte, welche Du mir das letzte mal serviert hast, hast Du noch so was im Kühlschrank?"

Pauli: "Äh.., ach so,....ja...,.ich muss mal nachschauen."

***Ich begab mich wieder in die Küche, erfüllt von der ärgerlichen Erkenntnis, dass ich vom Cupspiel wohl nichts mehr mitbekommen würde, da ich hier für Dino mal wieder den Butler machte ***

Kaum in der Küche angekommen, tönte es aus dem Wohnzimmer plötzlich brüllend laut: "Ja wo steht er denn? Wo steht denn dieser Idiot? Oh nein!! Hau die Flautsche weg! .....Oh ...nein, jetzt ist das Ding auch noch drin!"

Aus den entsetzten Schreien Dinos war klar ersichtlich, dass die gegnerische Mannschaft, sehr zum Missfallen von Dionysos, wohl ein Tor geschossen haben musste.

In mir machte sich sofort eine klammheimliche Schadenfreude breit. Diese Freude war aber nur von kurzer Dauer. Als ich ins Wohnzimmer stürzte, um wenigstens die Zeitlupen Wiederholung der Torszene mit zu bekommen, erblickte ich Litfaß mit einer großen Tüte in der Hand, deren Inhalt er fleißig in seinen großen Mund schaufelte, um diesen dort laut schmatzend zu verspeisen. Der Kerl hatte sich einfach an meiner Jumbo-XXL-Chipstüte vergriffen, welche ich dummerweise zu verstecken vergessen hatte.

Nun reichte es wirklich!

Begleitend zu diesem Mundraub flog rechts und links aus Dinos kauenden Schandmaul massenhaft Chipsgebrösel auf meinen wertvollen Persianer Teppich.

Ich eilte zum Abstellraum und holte den Staubsauger heraus. Nachdem ich diesen auf die stärkste und somit lauteste Saugleistung eingestellt hatte, schloss ich diesen im Wohnzimmer an eine Steckdose an und begann demonstrativ, um Dionysos herum, den Teppich gründlich abzusaugen.
Dies führte natürlich dazu, dass ich Dino den Blick auf das TV-Gerät versperrte und dieser auch die Kommentare des Stadionsprechers nicht mehr richtig hören konnte.

Wer nun glaubte, dass sich dieses Vielfraß dadurch auch nur ansatzweise stören ließ, hatte sich getäuscht. Litfaß ergriff die Fernbedienung und stellte den TV-Ton auf volle Lautstärke. Im Wohnzimmer entfaltete sich nun ein atemberaubender Krach, eine Gehör schädigende Mischung aus sinnentleertem TV-Fußballkommentar und Staubsaugergetöse.

Dino schälte zudem seine Fettmassen aus dem Relaxsessel und nahm frech genau vor dem Fernseher im Schneidersitz wieder Platz.

Immerhin im Schneidersitz!

So viel Beweglichkeit hatte ich ihm gar nicht zugetraut.

Dies gab wiederum mir die günstige Gelegenheit, auch einmal den Sessel mit dem Staubsauger von Krümeln zu befreien. Ich säuberte absichtlich gründlich, langsam und zeitaufwendig. Doch Dionysos schien das nicht zu interessieren, er glotzte weiterhin unbeeindruckt in die Mattscheibe.

Hier waren also härtere Maßnahmen angesagt.

Ich schnappte mir den Antistress-Sessel und schob diesen in den Flur.
Dinos Reaktion war gleich Null.

Dann begann ich, mit dem heulenden Saugrohr des Staubsaugers, hinter dem Fernsehgerät Staub zu beseitigen. Ach, welch Ungeschicklichkeit war es, als ich dabei aus Versehen das Koaxialkabel aus der Wandsteckdose riss und damit das Sendesignal unterbrach.

Nun merkte selbst Litfaß, welcher mit selten einfältigem Gesichtsausdruck verwundert in den nun weiß rauschenden Bildschirm starrte, dass hier etwas nicht stimmte.

Dino: "Paulchen, ich glaub Du hast den Kabel raus gerissen."

Pauli: "Ach? Tatsächlich? Wie konnte das nur geschehen?"

Dino: "Steck ihn einfach wieder rein, damit wir das Spiel weiter sehen können."

Pauli: "Wer ist wir? Ich hab vom Spiel noch nichts mitbekommen!"

Dino: "Tja, wenn Du ständig in der Küche rumhängst, dann siehst Du natürlich auch nichts."

Pauli (bemerkte, wie sein Blutdruck stieg): "Also in der Küche war ich für Dich und nun werde ich auch noch von Dir deswegen verspottet!?"

Dino: "So Paulchen, nun rede nicht dumm rum, sondern mach die Glotze wieder an, wer weiß wie viele Tore schon gefallen sind."

Pauli (schwer verärgert): "Was hältst Du denn davon, wenn Du Deinen Allerwertesten mal selbst bewegst und den Kabel selbst einstöpselst?"

Dino: "Kein Problem!"

Dionysos stand auf und versuchte sich in den Zwischenraum zwischen Fernseher und Wand zu quetschen. Eine sportliche Maßnahme, welche im Fiasko endete.
Beim Versuch den Kabelanschluss wieder her zu stellen, stellte sich Bruder Litfaß dermaßen stümperhaft an, dass das Fernsehgerät plötzlich umkippte und krachend auf dem Parkettboden des Wohnzimmers landete.

Dino: "Oh oh..Paulchen, dass tut mir jetzt aber leid."

Pauli (mühsam mit der Beherrschung kämpfend): "Ich....ich fasse es nicht! Das Gerät hat mich 800 Euro gekostet. Bist Du des Wahnsinns??...Du....du...verdammter Kretin!"

Dino: "Also, .....bei aller Freundschaft Paulchen, beleidigen lasse ich mich nicht. Ich soll für Dich die Glotze reparieren und dann wirst Du auch noch frech! So geht es nicht!"

Dino setzte sich kurz auf den Fußhocker, zog seine Schuhe an, stand auf und ging mit schnellen Schritten zur Haustür. Das Letzte was ich noch von ihm hörte, bevor er nach dem Rausgehen die Tür hinter sich schloss war: "Zum Glück bin ich auf Dich Paulchen nicht angewiesen. Andere Kollegen haben auch noch Fernseher...Tschüss!! Bei denen schaue ich mir jetzt die zweite Halbzeit an!"

Dann knallte die Tür ins Schloss.

Dionysos ist nach diesem Vorfall nie wieder zum Fußball gucken bei mir aufgetaucht.

Im Nachhinein muss ich bekennen: Ein kaputter Fernseher war es mir wert.

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